Pech gehabt

München-Schwabing. Ein schöner Ort, wirklich, vor allem bei schönem Wetter. Natürlich, die Hauptstadt der Schickeria, aber die weiß wo es schön ist. Es kommt mir eigentlich ganz gelegen, dass der Termin ausfällt und der nächste erst in 3 Stunden ist. Ich flaniere ein bisschen rum, fange ein bisschen an zu shoppen, setze mich in ein Bistro in die Sonne, lese nochmal was in meinen Unterlagen für den nicht ausgefallenen Termin, bestelle eine Kleinigkeit und ein Mineralwasser, ein Eis hinterher, und fummele etwas gelangweilt auf dem Smartphone herum. Ich könnte eigentlich auf den ersten Blick Teil der Schwabinger Schickeria sein, vor allem mit der neuen todschicken Sonnenbrille.

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Ich bemerke eine ältere Frau, die am Nebentisch die leere San Pellegrino-Flasche einsteckt und zu mir herüberschielt, ob meine wohl auch schon leer sei. Sie trägt elegante Kleidung, nicht mehr ganz der neueste Chic, eine freche Kurzhaarfrisur. Aus irgendwelchen Gründen lächele ich sie an. Sie kommt näher, blickt mich zögernd aus wachen braunen Augen an.

„Nein, die Flasche hier ist leider noch nicht leer. Aber bald.“

Ich merke, das war jetzt deplaziert. Sie schaut mich dennoch nicht böse an, sondern verlegen.

Ich beschließe intuitiv, mal wieder etwas ganz Verrücktes zu tun.

„Wollen Sie sich zu mir setzen? Darf ich Sie einladen?“

Sie mustert mich misstrauisch.

„Warum?“

„Warum nicht?“ antworte ich.

„Ja, warum nicht?“

Sie setzt sich, schaut mich halb verunsichert, halb neugierig an.

Jetzt muss ich wieder etwas sagen, aber ich weiß nicht so recht was. Ich lächle einfach.

„Sie sammeln Flaschenpfand?“

„Ja, ist das schlimm?“

Entweder ich sage jetzt was Vernünftiges, oder es wird peinlich, denke ich mir. Kein Smalltalk.

„Nein, überhaupt nicht. Schauen Sie, ich dachte mir, ich würde Sie gerne kennenlernen. Einfach so. Ganz ehrlich. Ich bin nicht von hier. Vielleicht können Sie mir etwas von München erzählen, von Schwabing, wie das hier so ist.“

Der Kellner kommt, bringt die Karte.

„Wie gesagt, ich lade Sie gerne ein. Bestellen Sie das worauf Sie Lust haben, ich mache das jetzt als Geschäftsessen. Die Rechnung bezahlt eine Firma, bei der Geld keine Rolle spielt.“

Sie ist nur kurz verunsichert, bestellt, und wir kommen ins Gespräch. München sei eine wunderbare Stadt, die Leute liebenswert. Sie wolle nirgendwo anders leben. Aber sie habe Pech gehabt im Leben, viel Pech, und solchen Leuten mache es München nicht leicht.

Es sprudelt aus ihr heraus. Die Eltern aus Schlesien vertrieben, mittellos in Bayern angekommen, das ganze Leben hart gearbeitet, und am Ende war die ganze Lebensleistung futsch: zwei Pflegefälle, astronomische Kosten, das Haus am Ende für die Pflege verkauft. Mittlere Reife, guter Sachbearbeiterinnenjob. Dann leider den falschen Mann geheiratet, Trennung als das Kind nicht mal ein Jahr alt war, nach der Erziehungszeit war die alte Firma pleite. Nie wieder einen richtigen Job bekommen, trotz Weiterbildung. Den Unterhalt hat der Typ höchst unregelmäßig bezahlt, die Gerichte blieben untätig. Das Kind oft krank, die Versicherungen zahlen am liebsten nichts. Sozialhilfe und Hartz 4 seit vielen Jahren. Auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar, die bald anstehende Rente wird hinten und vorne nicht reichen. Eine zweite Heirat mit einem gutverdienenden Mann hätte alle Probleme gelöst. Aber es hat sich halt nicht ergeben.

Außer dass sie den falschen Mann geheiratet hat, hat sie eigentlich nichts falsch gemacht, nur viel Pech gehabt, und trotzdem ist das Schicksal für Frauen, für Menschen wie sie vorgezeichnet: Altersarmut. Flaschensammeln.

Schlimm. Einfach so durch die immer weiter werdenden Maschen des „sozialen Netzes“ durchgefallen.

Ich erzähle ihr von mir, dass ich eigentlich immer Glück hatte. Keine Pflegefall-Eltern, mit Vater total verkracht, er lebt sowieso im Ausland, kein Kind, Karriere gemacht. Aber auch nichts gespart, das Geld geht raus wie es reinkommt.

Ganz schlecht sei das, meint sie. Ich solle Rücklagen bilden, was passiert wenn meine Firma pleite geht, mich raussetzt? Ja, sie habe recht, meine ich.

Aber eigentlich auch wieder nicht, erwidere ich. Sie sei doch das Beispiel dafür, wenn es ernst wird schröpfen der Staat und die Scheiß-Versicherungen alles Vermögen ab, und dann nützt dir das ganze Ersparte nichts. Mein schönes Leben die letzten 20 Jahre kann mir keiner mehr nehmen, hätte ich stattdessen alles gespart, wäre das im Ernstfall schneller weg als ich zusehen kann.

Sie sagt nichts mehr. Unendliche Traurigkeit spricht aus ihrem Gesicht.

Mir kullern zwei Tränen über die Wangen. Ich muss jetzt zwei Prosecco bestellen, sonst heule ich los.

„Ich weiß nicht worauf wir trinken sollen, aber das ist auch egal. Schön dass wir uns kennengelernt haben.“ sage ich verlegen.

„Danke. Danke für die Einladung, und vor allem für die Unterhaltung. Sie hat mir sehr gut getan.“

„Mir auch. Wissen Sie, eigentlich hätte ich jetzt einen Geschäftstermin mit Managern. Sie glauben nicht, was es für hohle Typen in dieser Szene gibt. In meiner Szene. Ein Gespräch mit Ihnen macht eigentlich mehr über die Realität unseres Wirtschaftssystems deutlich als viele dieser Manager je begriffen haben. Nur diese Realitäten wollen diejenigen nicht hören, die unsere heutige Geschäftsessen-Rechnung bezahlen.“

Sie nickt, sagt nichts mehr. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“ – „Danke, Ihnen auch.“

Geistesabwesend spaziere ich zu meinem nächsten Termin.

 

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6 Antworten zu Pech gehabt

  1. westendstorie schreibt:

    Und genauso sieht es aus. Hast du sehr schön geschrieben. Es ist ein Graus wie selbstverständlich man sein Stadtbild häufig wahrnimmt in all seinen Facetten, all die Flaschensammler. Menschen die sich aus auf dem Boden befindlichen Kippen nochmal eben eine zusammen bauen, die Jungs die die Obdachlosenzeitungen verkaufen, und und und. Sie werden wahr genommen und auch nicht. Beim näheren Hinsehen, beim Augen öffnen, dazu auch noch ein Ohr stellt man immer.. wirklich immer fest, das ein jeder seine Geschichte hat. Eine Geschichte die noch viel realistischer das Leben lebt, als manch einer es sich jeh vorstellen könnte.
    Wie der Obdachlose ehemalige Manager, der in meiner Stadt jahrelang am Bahnhof saß. Immer zurechtgemacht, mit einem Haufen Sachen , dazu immer ein Buch in der Hand. Er wurde verlassen, dazu ein Burnout, es brach ihm das Genick. Raus aus dem System und kein gewollter Weg mehr zurück.
    Ein Gespräch, ein warmes Getränk, ein Ohr, ein paar Worte können so viel Bewirken. Und das wertvollste, ein wenig geteilte Zeit….

  2. kiezneurotiker schreibt:

    Das hast du wie immer sehr schön geschrieben, sprachlich einwandfrei, mit der dir eigenen Leichtigkeit, die deine Texte auch bei schweren Themen auszeichnet. Ich mag deinen Stil, das weißt du ja.

    Dennoch hast du dieses Mal nur knapp, ganz ganz knapp die Schwelle zum Sozialkitsch nicht gerissen. Es ist schwierig, als Gutsituierter, der du bist und der auch ich bin, jene, die es nicht geschafft haben, adäquat zu beschreiben ohne gönnerhaft zu wirken, kitschig meinetwegen. Ich schaffe es ebenso selten und breche Texte oft ab, die von mir und denen handeln, denen ich etwas von dem gebe, das ich habe.

    Ich weiß keine Lösung, es ist ein schwieriges Terrain für die, die verhältnismäßig sorglos durch die Welt gehen, aber trotzdem ihre Augen offen und etwas übrig haben fur die, die keinen Tag ohne Sorge durchs Leben gehen.

    Ich finde es im Übrigen auch in Berlin immer wieder bezeichnend, welche Sorte Menschen Flaschen sammeln. Es sind nur noch selten die Penner, die Abgeranzten, es sind immer öfter welche, denen man ansieht, dass es ihnen vor kurzem noch besser gegangen ist.

    Diesem Land geht es im Querschnitt recht gut, aber es gibt einen großen Prozentteil derer, die durchs Gitter fallen. Schön, dass du sie siehst.

  3. Pingback: Mehr Vielfalt… | Zurück in Berlin

  4. Raze schreibt:

    Eine schöne Beschreibung eines leider alles andere als seltenen Zustands.

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