Rudyard Kipling revisited: The White Woman’s burden

So, Afghanistan ist an die Taliban gefallen. Schneller, viel schneller als erwartet. Nur wenige Wochen nachdem die USA mit ihrem Truppenabzug begannen, das Kartenhaus Afghanische Armee und Regierung fielen zusammen. Die Bilder erinnern an Saigon 1975, aber in Wirklichkeit, es ist viel schlimmer. Süd-Vietnam fiel 2 Jahre (!) nach dem US-Truppenabzug. Erinnern wir uns: Als die Rote Armee 1989 abzog, brauchten die Islamisten drei Jahre, bis sie die militärische Kontrolle übernehmen konnten.

Aber warum ist jemand darüber überrascht?

Die Wirklichkeit wurde schon deutlich als vor 2 Jahren die ‚Afghanistan Papers‘ öffentlich wurden. Ein dickes Paket von internen Dokumenten, die unmissverständlich zeigten: Alles was westliche Regierungen über Afghanistan und diesen Krieg erzählen, ist eine Lüge, eine große Lüge.

Natürlich, eigentlich man konnte es nicht ignorieren. Der US Congress hat einen Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) ernannt, John Sopko. Jedes Jahr, er gab einen Bericht heraus, der letzte genau an dem Tag, als die Taliban Kabul betraten.

“Twenty years later, much has improved, and much has not in Afghanistan,” Sopko writes. “If the goal was to rebuild and leave behind a country that can sustain itself and post little threat to the US national security interests, the overall picture is bleak.” Sopko notes improvements in life expectancy, GDP, and literacy since the US invasion. But he adds, “Despite these gains, the key question is whether they are commensurate with the U.S. investment or sustainable after a U.S. drawdown. In SIGAR’s analysis, they are neither.”

Sopko wurde noch deutlicher: “The American people have constantly been lied to.” Brutal ehrlich war auch General Douglas Lute, the White House Afghan war czar for Bush and Obama: “We were devoid of a fundamental understanding of Afghanistan­—we didn’t know what we were doing.” Der Afghanistan-Verantwortliche  gibt zu “We didn’t have the foggiest notion of what we were undertaking.” Dennoch, der Kongress bewilligte insgesamt 2700 Milliarden Dollar, um den Wahnsinn immer wieder fortzusetzen. Hunderttausende starben, natürlich fast „nur“ afghanische Zivilisten.

Merkwürdigerweise, es schreibt niemand über manche Assoziationen, die ich hatte als ich die Bilder der siegreichen Taliban gesehen habe. Als sie durch den pompösen Präsidentenpalast von Kabul zogen, als sie die opulente und dekadente Residenz des Warlords Dostum in Mazar-i-Sharif vorführten…mir kamen die Bilder der Paläste von Saddam Hussein, die die US-Soldaten nach dem Einmarsch in Bagdad zeigten. Korruption und Selbst-Bereicherung überall. Die vielen Milliarden des Westens landeten in der Armee, dem Sicherheitsapparat und den privaten Taschen aller derjenigen, die es in ihre Finger bekommen konnten. Bei der armen Bevölkerung kam so gut wie nichts an.

Leider, das hat im Westen niemanden interessiert.

Aber jetzt kommen sie wieder mit den Stories, mit denen sie den Krieg am Anfang legitimiert haben. Die Frauen, die Mädchen. George W.Bush wurde 2001 plötzlich ein Feminist, und das ganze liberale politische und Medien-Establishment der USA folgte sofort. Time Magazine verkündete unter dem Titel ‚Blood and Joy‘ „the greatest pageant of mass liberation since the fight for suffrage“ was occurring, as „female faces, shy and bright, emerged from the dark cellars“ to stomp on their old veils. …this was a holiday gift, a reminder of reasons the war was worth fighting beyond those of basic self-defense“.

Von Januar 2000 bis zum 11.September 2001 gab es in den US-Medien 15 Zeitungsberichte und 33 TV-Beiträge über Frauen in Afghanistan.  In den 16 Wochen vom 11.September 2001 bis zum Jahresende waren es dann 93 und 628. Danach, es kam nicht mehr viel.

Amerikas weiße, liberale, reiche Feministinnen waren plötzlich in einem Boot mit Bushs Republikanern. First Lady Laura Bush verkündete, der Krieg werde Afghanistans Frauen befreien. Senator Hillary Clinton pries den Krieg in voller Begeisterung. Afghanische Frauen fragte aber niemand, ob sie Krieg wollen. Rafia Zakaria beschreibt sehr schön in The Nation unter dem Titel ‚White Feminists Wanted to Invade‘ wie sich das weiße feministische establishment militarisiert. „The belief that white women knew what’s best for Afghan women goes deeper than Hollywood and political posturing.“ Du fühlst dich unvermittelt erinnert an Rudyard Kipling. The White Woman’s Burden, so to say.

Rafia Zakari, ich habe schon einmal über sie geschrieben in diesem kleinen Blog, 2015, über Colonial Feminism.

Statt die afghanische Katastrophe und die katastrophale Rolle der USA nun kritisch zu analysieren, die Medien verfallen wieder in die alte Rolle. Surprise, jetzt sind Afghanistans Frauen wieder center stage. Sie sind wieder die armen, bedauernswerten Opfer der mittelalterlichen Taliban, die nur unter westlichem Schutz ihre Rechte zurückbekommen werden, und deshalb war der Krieg gut. Just one example:

„Look at the freedom that is being deprived from the Afghan people as the Taliban move into Afghan, or moving into parts of Afghanistan now, and you know how much freedom they had. Look at the number of women that are out there making careers, that are thought leaders, that are academics, that never would have happened under the Taliban leadership…. The devastation you are seeing today is why that small footprint of 2,500 US troops was so important.“ Rep. Adam Kinzinger on CNN, 16.8.21

Die Botschaft ist klar: Der komplett verkorkste Krieg darf nicht delegitimiert werden, denn das würde die US-Politik delegitimieren. Dafür sind Afghanistans Frauen immer gut. Caitlin Flanagan in The Atlantic (19.8.): „The United States military made it possible for those women to experience a measure of freedom. Without us, that’s over.“ Es war das erste Mal, dass Flanagan sich zu Afghanistan geäußert hat, bisher war das nicht so wichtig.Associated Press (14.8.) drückt auf die Tränendrüse mit einem Artikel  „Longest War: Were America’s Decades in Afghanistan Worth It?“:

But one 21-year-old woman, Shogufa, says American troops‘ two decades on the ground meant all the difference for her.“ After describing Shogufa’s experience for five paragraphs, the piece concludes with her „message to Americans“: „Thank you for everything you have done in Afghanistan,“ she said, in good but imperfect English. „The other thing was to request that they stay with us.“

So könnte man noch viele Zitate finden.

Ich weiß nicht, ob Shogufa wirklich existiert oder erfunden wurde. Es ist egal. Es gibt sicher Frauen wie Shogufa. Sie hat Glück gehabt, dass sie nicht gehört zu den 100,000 afghanischen Frauen, die die Bomben und Drohnen, den Krieg leider nicht überlebt haben. Diese Toten gab es nicht in Kabul und den großen Städten, es gab sie auf dem Land, dort wo die Armen und Dummen und Vergessenen leben. Sie zählen leider nicht.

Deshalb, es berichtet auch niemand, dass nach 19 Jahren unter US-Kontrolle Afghanistan den vorletzten Platz einnimmt wenn es um die Lebensqualität von Frauen geht, according to the Women, Peace and Security Index (2019). Es scheint, der Westen hatte andere Prioritäten als die Frauen Afghanistans.

20 Jahre lang hatten Medien und Politiker im Westen Gelegenheit, ihren verkorksten Krieg nicht blind weiterzumachen, sondern konkret etwas zu tun. Konkret, an der Lebenswirklichkeit der Frauen, der Mädchen und auch ihrer Brüder, Väter und Söhne. Mit 2700 Milliarden Dollar kann man etwas machen. Hätte sich das Leben der Menschen in Afghanistan konkret verbessert, die Taliban wären schnell irrelevant geworden. Aber nun, wo alles zu spät ist, beweisen sie wieder einmal, dass afghanische Frauen für sie nur interessant sind, um ihren Imperialismus und ihren militärisch-industriellen Komplex zu rechtfertigen.

Und nun? Jetzt denken sie schon wieder über Bombardierungen nach, natürlich mit edlen Motiven, lasst uns die Frauen retten, haha. Ein Wirtschaftsembargo wollen sie, Sanktionen und so weiter. Vielleicht fragen sie einfach mal normale Menschen in Afghanistan. Sie wollen endlich, endlich keine Bomben mehr, und sie wollen endlich, endlich weniger Armut. Ja, sie wollen noch mehr, aber wahrscheinlich haben sie von den perfiden Machtspielen des Westens längst genug.

Ich habe keine Lösung für Afghanistan. Ich bin froh, das sich nicht dort lebe. Es bricht mein Herz, wenn ich Berichte lese über die schreckliche Angst, die die Frauenrechtsaktivistinnen dort jetzt haben. Aber eines ist sicher: Nach vierzig Jahren Krieg ist noch mehr Krieg nicht die Lösung.

What will be the future of these wonderful girls?

Über sunflower22a

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5 Antworten zu Rudyard Kipling revisited: The White Woman’s burden

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  2. Redaktion schreibt:

    Welche Katastrophe? Welche armen Frauen?

    Kucken Sie mal die Bevölkerungsexplosion Afghanistans der letzten dreißig Jahre an. Die haben sich verdreifacht. Krieg scheint gut zu sein für neue Menschenleben.

    Zudem: Wenn kaum 70.000 armselig bewaffnete Taliban gegen 35 Millionen (ja, davon 50% Frauen) EinwohnerInnen die Oberhand gewinnnen, dann sollte man durchaus unterstellen, es sei von ebendiesen Afghaninnen so gewollt.
    Wer hindert sie die letzten zig Jahre daran, Soldatinnen zu werden? Wie die Kurdinnen vll. eigene Armeeen aufzustellen und ZU KÄMPFEN?

    Fliehen tun jetzt die KleptokratInnen der ehemaligen Regierungselite. Man kann auch sagen, die Quislinge.

  3. Trebon schreibt:

    Naja, AFG war wohl noch nie übernommen worden und konnte daher nicht zurück fallen. Die haben schon ganz andere Weltreiche ausgesessen. Die „burden“ ist auch so ne Einbildung. Was gehen Sie die Verhältnisse da unten an? Haben Sie ein besseres Konzept?
    Natürlich nicht, außer Kopfgeburten die auf bitterer Anklage andere möchten doch bitte – vor allem die Männer . usw u.s dämlich u.s abgefahren.

    Ihre Frauenbewegung ist zu Ende, Weil Sie einfach zu dumm sind andere zu integrieren. Es wird nichts übrig bleiben. AFG ist Metapher, Sorry. Sie sind eine Schakalin die sich vom Aas einer vergangenen Zeit nährt. Da nützen auch Arsch raus Haut zeigen pics nix. Wer zu blöd ist die Folgen seiner völlig einseitigen denke zu checken den bestraft das Leben. Regardless of Impfstatus or not.

    S. Frauen in AFG..

  4. Monezza schreibt:

    The flower has vanished
    left a hole in my heart
    and as days go by
    and the harder try
    I crave for the sun
    that long since has gone.

    I don’t even know you.
    But I miss you.

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