In den heute dominanten Kulturen müssen Frauen ihre Brüste bedecken, sonst schlägt die Moralpolizei zu. In „exotischen“ Kulturen ist das nicht unbedingt so. Es ist aber völlig in Vergessenheit geraten, dass dies auch in Europa viele Jahrhunderte lang anders war. Ich möchte hier nicht von der griechischen Antike sprechen. Im 14.Jahrhundert kam in den Oberschichten Europas die Mode auf, das Dekolleté immer tiefer zu machen. Es begann in Frankreich und später Italien. Die Mode, nur noch eine Brust zu bedecken, wurde in Frankreichs Adel populär durch Agnès Sorel.
Sie war die erste offiziell anerkannte Mätresse am französischen Königshof. In Italiens Kunst der Renaissance war Nacktheit weit verbreitet, auch sehr sinnliche und erotische Nacktheit. Michelangelo, Leonardo da Vinci und andere Künstler der Weltklasse erschafften Werke voller wunderschöner Sinnlichkeit, oft zensiert in späteren Jahren oder gar zerstört wie Leonardo’s Leda and the Swan. In Italien scheint es auch populär gewesen zu sein, tatsächlich lebende Frauen mit unbedeckter einer oder zwei Brüsten zu porträtieren, beispielsweise das berühmte Porträt der Simonetta Vespucci von 1480.
Aber es ist zweifelhaft dass es damals tatsächlich Mode war. Das war erst in den 1500s der Fall, vor allem in Venezia.
Ende dieses Jahrhunderts, also zu den Zeiten Shakespeares, erreichte diese Mode auch England. Queen Elizabeth I und die Frau ihres Nachfolgers James I, Anne of Denmark, waren große Anhängerinnen sehr tiefer Dekolletes.
Angela McShane hat in einem bemerkenswerten Artikel für „History Today“ recherchiert, dass es in den 1600er Jahren in England ziemlich normal war, dass Frauen ihre Brüste nicht bedeckten. Sie untersuchte 10,000 illustrierte Balladen aus dieser Zeit, damals das Medium mit der größten Verbreitung, preiswert bei Straßenhändlern zu kaufen. Dieser Modetrend ging von den adligen Häusern, sogar direkt vom Königshaus aus. Queen Mary wird in illustrierten Balladen dieser Zeit oft mit unbedeckten Brüsten gezeigt.
Von Queen Henrietta Maria ist ein Kleid erhalten, das die ganze Schönheit ihrer Brüste nicht bedeckte. Frauen quer durch alle Schichten kopierten die adlige Mode, denn sie war der neueste chic.
Kaum zu sehen sind in den Bildern aus dieser Zeit jedoch Frauen mit unbedeckten Schultern oder Beinen, das war offenbar wirklich unmoralisch. Die Königin darf natürlich nur in respektvoller Absicht gezeigt werden, nicht wie moderne Graue-Maus-Feministinnen vermuten würden als „Sexualobjekt“. Angela McShane:
„The context and language of this and later ballads make it clear that Mary’s displayed breasts were to be seen as an expression of her youth, beauty and, hopefully, her fecundity…17th century fashion, rather than demeaning women, could be empowering. The extremely low cut dresses were designed to encourage men to look but not to touch. They empowered some women to use their sexuality… There was great encouragement to look and admire, but there was no invitation to touch.”
Wer bewundert wird, übt Macht aus. Im „Ladies’ Dictionary“ von 1694 liest du unter dem Eintrag „Naked Breasts“: “We find by lamentable, if I may not say fatal, Experience, that the the world too much allows nakedness in Women.” Aber der Dictionary erkennt an:
“Surely then they cannot be exempt from blame who do show their breasts and shoulders at so extreme a rate, since they cannot possibly be ignorant that that nakedness must needs be much more powerful than words to excite the motions of Concupiscence. For who does not know that the eyes are the Guides of Love, and that it is through them that it most commonly steals into our souls? A naked breast and bare shoulders are continually speaking to our hearts, in striking and wounding our Eyes; and their language, as dumb as it is, is so much the more dangerous as it is not understood but by the mind, and the mind is pleased with the understanding it.”
Nackte Brüste waren aber nicht nur ein Zeichen für Schönheit und Status, sondern konnten durchaus auch unmoralische Bedeutung haben. Gewöhnliche Frauen hatten die Brüste nach der Heirat zu bedecken, außer wenn es Babys zu versorgen gab. Die modebewusste upper class lady hatte andere Freiheiten, und sie wollten natürlich ihre Schönheit zur Schau stellen – und um ihre Babys kümmerten sie sich auch nicht selbst, denn breastfeeding hätte der Schönheit der Brüste schaden können. Der Terror der Schönheitsideale…
Schon damals gab es natürlich moralistische Eiferer. „For example, A Just and Seasonable Reprehension of Naked Breasts and Shoulders, (translated from the French original), published in 1670 with a preface by the great divine Richard Baxter, and England’s Vanity (1683) both declaimed vociferously against such abominations as bare breasts and the use of face patches.“
Viel Echo fanden diese Moralisten nicht. Oliver Cromwells radikal-puritanisches Regime von 1649-1658 war Abschreckung genug für lange Zeit – als er 1658 gestürzt wurde, wandte man sich mit Begeisterung vom Puritanismus ab. Wer zu weit ging wie der Puritanerprediger William Prynne, der Queen Henrietta Maria als Prostituierte bezeichnete wegen ihrer Mode, bekam ein Problem: der Königshof ließ ihm beide Ohren als Strafe abschneiden. Auch im 18. und selbst im 19.Jahrhundert gab es Zeiten in England, wo es populär war, dass Frauen ihre Brüste nicht oder nur teilweise bedeckten.
Im 18.Jahrhundert war es Frankreichs Oberschicht, in der sich die Vorliebe für sehr tiefe Dekolletés bis zur Revolution 1792 sehr lange hielt, wie Evelyn Kennedy Duncan in ihrem schönen Blog „My fanciful Muse“ präsentiert. Die Ladies spielten mit extrem knapp bedeckten Brüsten, so dass die Nippel bei der kleinsten Bewegung sichtbar wurden und wieder verschwanden. Ein wunderbares Spiel, das die Nippel sicher auch anregte, hart zu werden.
Very exciting, indeed. Would be a good idea for modern fashion.
Heute experimentieren nur fashion shows mit unbedeckten Brüsten. Topless ist okay am Strand, und ähnlichen restricted locations, aber es wäre spannend, wenn wir experimentierfreudiger würden. Die leider in der Versenkung verschwundene kanadische Designerin Lisa Loveday hat zur Vancouver Fashion Week 2014 einige schöne Modelle gezeigt:
Gewagt? Crazy? Maybe. But there’s no doubt, it is beautiful. If boobs became socially more acceptable, there would be an enormous new open space for designers to explore….
Faszinierend, ich habe am Samstag auch über die neue Prüderie geschrieben. Ich werde Deinen Beitrag morgen als Update verlinken, wenn es dich nicht stört. Sehr informativ! Vielen Dank,Sunflower.
P.S.: Ich hab den Link einfach schon mal untergebracht. Wenn es dir nicht recht ist, mach ich ihn wieder weg. Musst du nur sagen, nichts für ungut.
No problem:-)
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