Besuch aus Ankara

Eine wirkliche Überraschung. Nilüfer aus Ankara will mich treffen. Eine Zufallsbekanntschaft aus dem Flugzeug, eine fromme Muslimin mit Kopftuch, eine Geschäftsfrau mit deutschen Wurzeln. Unser Zusammentreffen war anfangs alles andere als freundlich, ich habe hier darüber geschrieben.

Dass sie sich tatsächlich nochmal bei mir melden würde, ich hätte es nicht gedacht. Ich freue mich.

Ich überlege, wie ich sie treffen soll. Soll ich mich „bescheiden“ anziehen? Ach nein, sie würde sich auch nicht das Kopftuch abnehmen weil sie mich trifft. Ich style mich ganz normal, mache mich für sie schön.  Auch wenn sie das so empfindet, als würde ich wie eine Hure herumlaufen. Ich finde das sowieso nicht schlimm.

Wir treffen uns in einem italienischen Eiscafé. Sie ist eine überaus elegante Erscheinung, neuester Istanbuler muslimischer Chic. Perfekt sitzendes Kopftuch, kein einziges Haar zu sehen. Sie wirkt unnahbar, distanziert. Ich bin verunsichert. „Nilüfer, ich freue mich Sie zu sehen. Sehr. Ich hätte es nicht mehr erwartet, ich gebe zu, aber ich freue mich.“

Sie bedankt sich, mustert mich. Wir fangen einen belanglosen Smalltalk an. Wie bekomme ich die Kurve, um endlich miteinander richtig zu sprechen. Unverhofft fängt sie dann damit an.

Was denken Sie über die heutige Türkei? Ich glaube, Sie kennen unser Land ganz gut. Es interessiert mich, was Ihr Eindruck ist.“ Danke für das Kompliment. Ich befinde mich mitten in einem Minenfeld.

Ich glaube, die Türkei ist in einer sehr schwierigen Phase, politisch und wirtschaftlich. Die politische Krise verhindert die Lösung der grundlegenden Wirtschaftsprobleme. Ich doziere über Wechselkurse, Auslandsschulden, Immobilienblasen. Ich denke mir, das ist unverdächtiger als über Erdogan und Gezi-Park zu sprechen.

Stimmt. Ja, Sie haben recht, sagt sie. Für uns Unternehmer sind die fetten Jahre langsam auch vorbei. Wir Türken schauen jetzt hochnäsig auf unsere griechischen Nachbarn herunter, aber auch wir leben in einem Kartenhaus. Noch. Morgen bricht es vielleicht zusammen.

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Nun finde ich, darf ich was fragen. Was meinen Sie über Erdogan, wird er nicht immer autoritärer, ist er nicht eine Gefahr für die Demokratie?

Sie schaut ins Leere. „Das ist keine einfache Frage.“ Sie überlegt. „Wissen Sie, ich weiß was ihr Deutschen darüber denkt. Ich schaue auf die Türkei oft auch mit einem deutschen Blick, leider. Aber Deutschland ist das Land meiner Kindheit und meiner Jugend, ich kann das nicht mehr abschütteln.“

Als sie in die Türkei auswanderte, das Land ihrer Eltern, fühlte sie sich sehr fremd. Aber sie wollte ankommen, denn Deutschland war ihr noch fremder geworden. „Deutschland hat mich verstoßen“, dieser brutale, harte Satz aus unserem damaligen Zusammentreffen, ich habe ihn nicht vergessen.

Ich kenne das Gefühl, sage ich. Sie ist erstaunt. Warum? Schauen Sie, ich bin eigentlich nur eine halbe Deutsche, im Gegensatz zu Ihnen bin ich da auch nicht geboren, meine Jugend habe ich woanders verbracht. Sie ist ehrlich erstaunt.

„Ich bin als Amerikanerin geboren. Meine deutsche Seite habe ich erst viel später entdeckt. Und ich merke, die Deutschen werden mich wohl nie als eine der Ihren anerkennen. Ich verstehe Sie besser als Sie denken.“

Sie wirkt neugierig und enttäuscht zugleich.

„Ja, Amerikanerin, Es tut mir leid. Ich kann nichts dafür.“

Zum ersten Mal wirkt sie jetzt warmherzig und freundlich.

„Darauf kommt es doch nicht an, Nationen, was ist das. Es kommt auf die Person an. Der Nationalismus ist eines der Grundübel der säkularen Menschen. Wissen Sie, der Prophet Mohammed lehrt, das Wichtige ist die Ummah, die Gemeinschaft der Gläubigen. Nationen sind unwichtig. Aber ich muss sagen, dass selbst Amerikanerinnen sich in Deutschland nicht wirklich akzeptiert fühlen, das erstaunt mich. Ich dachte immer, es sei eine Frage der Religion.“

Sie taut auf. „Sie wollten wissen, was ich über Erdogan denke. Ich war in der AKP, seiner Partei. In der Frauenorganisation. Sehr aktiv, sehr engagiert. Sehen Sie, ich verachte die Kemalisten. Die AKP hat den einfachen Menschen ihre Würde zurückgegeben. Die Kemalisten sind eine zynische Elite, die sich selber bereichert haben und das Volk leiden ließen. Erdogan mag auch korrupt sein, anfangs war er es nicht. Die AKP hat den Menschen einen funktionierenden öffentlichen Dienst gebracht, eine weitgehend kostenlose Gesundheitsfürsorge, eine funktionierende Müllabfuhr, Elemente eines Sozialstaats. Sie halten das für selbstverständlich, in der Türkei ist das nicht selbstverständlich. Das werden sie ihm nie vergessen. Twitter, Youtube, was ist das schon im Vergleich zu einem Arzt, der Sie behandelt und nicht nach Hause schickt, weil Sie ein armer Bauer oder Tagelöhner sind?

Ja, ich weiß. Das verstehe ich auch.

Es wurde erst dann schlecht, als Erdogan sich mit Gülen überwarf.“ Gülen, der liberale islamische Prediger, über den ich hier geschrieben habe. „Gülen war der Kompass der AKP, nicht offiziell, aber für viele der Basis und der mittleren Funktionärsschicht. Auch für mich. Ohne ihn ist Erdogan nicht mehr kontrollierbar. Abdullah Gül ist ehrlich, aber zu schwach.“

Eine tiefe Traurigkeit spricht aus ihrem Gesicht.

„Ich bin aus der AKP ausgetreten. Ich wähle sie auch nicht mehr. Niemanden wähle ich mehr.“

Es sprudelt aus ihr heraus. Ihr Business ist erfolgreich, für türkische Verhältnisse ist sie reich. Aber sie ist in einer Art Midlife Crisis. Kayseri, die Heimat ihrer Eltern, ist ihr zu eng, zu konservativ. Sie lebt in Ankara und Istanbul, aber ohne Familie. Für eine Heirat ist es zu spät, in ihrem Alter heiratet man in der Türkei nicht mehr, nicht einmal die Kemalisten. Sie hätte gerne Familie gehabt, aber seit sie die arrangierte Heirat abgelehnt hat, war es aus. Aber sie komme mit Männern einfach nicht klar, so sei es wohl besser.

Die Einsamkeit spricht aus ihrem Gesicht.

Der Austritt aus der AKP habe ihr das Leben nicht erleichtert. Aber sie bleibe bei ihrem eigenen Weg. Die Religion gebe ihr Kraft. Sie werde ihren Weg weitergehen.

Ich fange an, sie ehrlich zu bewundern, nicht nur oberflächlich.

Nilüfer, ich kann Sie sehr gut verstehen. Auch ich weiß manchmal nicht mehr so richtig, ob ich alles so weitermachen möchte wie bisher. Religion, das ist nichts für mich. Ich habe auch meine Werte, aber die kommen aus mir. Sie sind aber auch sehr stark.

Zweifelnd schaut sie mich an.

Das Gespräch wird allmählich sehr persönlich. Die Zeit vergeht.

So fremd, so anders, so verschlossen sie ist – ich empfinde eine tiefe Seelenverwandtschaft mit dieser Frau. Wenn wir es einfach akzeptieren können, dass die eine tief religiös ist und so lebt, und die andere eine, sagen wir mal, liberale Hedonistin ist – wenn wir solche Gräben überspringen, dann leben  wir in einer anderen Welt. Kaum jemand schafft es.

Ich hoffe, Nilüfer kann das zulassen. Ich kann es, glaube ich.

Sie schaut auf die Uhr. „Nilüfer, darf ich Sie noch etwas fragen?“ – Ja? – „Darf ich Sie ohne Kopftuch sehen?“ – Warum? „Ich glaube Sie sind eine sehr starke, bewundernswerte Frau, und ich glaube Sie sind auch sehr schön. Ich würde mich einfach freuen.“

Sie denkt nach. Nein.

„Vielleicht beim nächsten Mal.“

Ich freue mich. Sie steht auf, umarmt mich scheu, und ohne sich noch einmal umzudrehen geht sie.  Ich bin sicher, sie denkt genau so oft an mich wie ich an sie.

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Über sunflower22a

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9 Antworten zu Besuch aus Ankara

  1. kalypso schreibt:

    schämst du dich ein ami zu sein?!

    und wo würdest du denn gerne leben?

    • sunflower22a schreibt:

      nein, natürlich nicht. Aber wenn du mit gläubigen Muslimen zu tun hast, kannst du dich darauf einstellen, dass du dich nicht unbedingt beliebter machst wenn du den U.S. passport hast. wo würde ich gerne leben? ach, ich weiß es auch nicht.

  2. Sarah schreibt:

    Abgefahrener Name Nilüfer ist.

  3. kalypso schreibt:

    kennst du eigentlich den film „zimt und koriander“ ?
    was für die seele und den bauch 🙂

    und diese beschreibung trifft es auch sehr schön:
    ……ist eine sinnliche und berührende komödie über den verlust von heimat, freundschaft und
    liebe und darüber wie das kochen wertvolle lektionen über das leben lehren kann.

  4. kalypso schreibt:

    oh schön……mir hat der film sehr, sehr gut gefallen! berührte etliche themen im inneren…..

    viel vergnügen beim gucken und bin gespannt, wie du ihn findest.

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