Die Menschheit hat viele sehr verschiedene Kulturen hervorgebracht, aber sie haben auch vieles gemeinsam. Eine Gemeinsamkeit fast aller Kulturen ist es, dass sich Menschen schämen wenn sie nackt sind. Die alten Ägypter und Griechen schämten sich nur sehr wenig, und heute sind es wohl nur noch einige isolierte Eingeborenenstämme in Amazonien und Neuguinea, die nichts dabei finden, ihren Körper nicht zu verpacken. Aber woher kommt dieses Schamgefühl eigentlich? Das habe ich mich schon immer gefragt.
Andere Säugetiere haben so etwas nicht. Irgendwann in der langen Evolutionsgeschichte des Homo Sapiens trat diese Erscheinung auf. In einer Dokumentation der BBC wird diese interessante Frage analysiert. Und mit deinem Experiment untermauert, bei dem 8 sich gegenseitig wildfremde Menschen für ein Wochenende in einem Haus unter wissenschaftlicher Aufsicht zusammenleben und sich dabei nach und nach ihrer Kleider entledigen.
Die Forscher, die die BBC zu Wort kommen lässt, gehen erst einmal der Frage nach, warum eigentlich der Mensch als einziges Säugetier sein Fell verloren hat. Schon aus Gründen des Schutzes vor Kälte oder übermäßiger Sonne brauchte er dafür dann Kleider, welcher Art auch immer. Die überraschende Antwort: in den Savannen Ostafrikas, wo der Mensch angeblich entstand, wäre es unseren Vorfahren irgendwann zu heiß geworden, wenn sie ihr Fell behalten hätten. Der Mensch produziert nämlich weitaus mehr Abwärme als andere Säugetiere, weil unser überdimensioniertes Gehirn genau wie ein Computer soviel Wärme abgibt, dass wir weitaus mehr schwitzen als andere Säugetiere. Und wenn die Kühlmethode schwitzen funktionieren soll, dann am besten ohne Fell.
Nun haben viele Männer ja immer noch Fellreste. Aber in vielen Kulturen haben Forschungsergebnisse herausgefunden, dass Menschen mit wenig Körperbehaarung generell als attraktiver gelten. Schon immer haben Menschen deshalb etwas nachgeholfen und sich mit allerlei Methoden die Haare entfernt. Evolutionär hat dieser Trend aber dafür gesorgt, dass haarigere Exemplare schlechtere Chancen zur Fortpflanzung hatten.
Und woher kommt denn nun das Schamgefühl? Natürlich hat auch das evolutionäre Gründe. Menschen die nach erfolgreicher Balz sich um ihre Brut gekümmert haben, hatten natürlich ebenfalls mehr Chancen sich erfolgreich zu vermehren als jene, die beim Sex mehr ans Vergnügen und weniger an die Kindererziehung dachten. Und so entstand die Neigung, sich zu verhüllen und zu zeigen, ich bin nicht verfügbar. Zuviel sexuelle Permissivität hätte die Sozialstrukturen gar nicht erst entstehen lassen, mit denen in komplexeren Gesellschaften Kinder erzogen werden können. Eine Aufgabe, die beim Menschen weitaus länger dauert als bei anderen Tieren, weil durch die vergleichsweise enorme Kopfgröße unserer Spezies die Babys eigentlich viel zu unreif auf die Welt kommen. Aber wenn das Baby länger in der Mutter bleiben würde, würde es nicht mehr rauskommen…
Das Schamgefühl ist also nicht genetisch veranlagt, sondern sozial konstruiert um unkontrollierte Sexualbeziehungen zu unterbinden und die Monogamie durchzusetzen. Dass diese soziale Konstruktion unter Umständen ziemlich leicht aufzuheben ist, zeigt sich an Nudistenstränden oder in der Sauna. Außerhalb dieser gesellschaftlich akzeptierten Nacktbereiche hält es sich aber sehr hartnäckig. So gut wie niemand kommt auf die Idee, bei brütender Sommerhitze nackt einkaufen zu gehen.
Das BBC-Experiment brachte aber – ich würde sagen erwartungsgemäß – das Ergebnis, dass das sozial konstruierte Schamgefühl schnell nachlassen kann. Die vier Frauen und vier Männer hatten anfangs durchaus erhebliche Hemmungen. Zunächst sollten sich nur vier ausziehen und die anderen vier nicht. Alle hofften, nicht zu der ersten Gruppe zu gehören. Es muss ein interessantes Gefühl gewesen sein, das erste Abendessen mit vier Nackten und vier Bekleideten zu machen. Später waren alle nackt, und gewöhnten sich schnell daran. Das nächste Tabu waren Berührungen. Sich gegenseitig die Körper zu bemalen, war gar keine so große Überwindung mehr. Die Körperstellen, die man berühren darf, wurden grün angemalt, die „verbotenen“ rot und dazwischen gab es noch gelb. Die Hälfte ließ sich gleich ganz grün anmalen. Und zum Schluss verließen alle das Haus splitternackt und stiegen ins Taxi nach Hause und hatten sichtlichen Spaß dabei.
„Hier wäre ein Fell vielleicht doch ganz praktisch…“
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