Wenn man das viele Zeug liest, was in Frauenzeitschriften, anderen Zeitschriften und der ganzen bunten Medienwelt so alles unter den Themen Sex und Liebe veröffentlicht wird, könnte man bei oberflächlicher Betrachtung glatt meinen: es gibt keine Tabus mehr. Alles geht – oral, anal, Intimrasur, BDSM, Sexspielzeug im Drogeriemarkt, …..Alles vor 30 Jahren undenkbar oder im Schmuddelsumpf.
Das große Tabu Homosexualität ist heute auch keines mehr, jedenfalls im westlichen Europa.
Aber das Bild trügt. In Sachen Überwindung sexueller Tabus haben vor allem die Männer Fortschritte gemacht. Sie dürfen eigentlich heute alles, vor allem als Singles – außer Pädophilie. Und diese ist ein weitgehend männliches Phänomen, das auf jeden Fall ein Tabu bleiben muss, weil Pädophilie eigentlich immer auf Kosten anderer ausgelebt wird, und deswegen gibt es hier kein Pardon.
Davon abgesehen gibt es in Sachen Sex weniges, was bei Männern zu sozialer Ächtung führt, allenfalls offener Chauvinismus in gebildeteren Kreisen. Dennoch ist das Leben für viele Männer heute schwieriger, ihr Rollenbild und ihre Selbstwahrnehmung werden von erfolgreicheren Frauen infrage gestellt. Das Ergebnis ist bei vielen Verunsicherung. Du darfst alles, hast aber keine Orientierungshilfen mehr.
Frauen dagegen werden noch von weit mehr Tabus kontrolliert – leider am meisten von anderen Frauen. Das gesellschaftliche Verdikt der Schlampe trifft dich, sobald sich deine Sexualität nicht auf die treue, hingebungsvolle monogame Liebe reduzieren lässt. Da hilft es auch nichts, dass du niemanden betrügst – eine Single, die Sex mit mehreren anderen Menschen hat, oder gar Polyamorie – das geht gar nicht. Vor allem Frauen tolerieren so etwas nicht bei anderen Frauen. Männern sieht man das weitaus eher nach als Frauen. Warum eigentlich? Was für Marienbilder schwirren uns eigentlich noch im Kopf herum?
Vollends zuende ist die Toleranz wenn es um Prostitution geht. Diese Diskussion ist nach wie vor von einer Verklemmtheit geprägt, die ihresgleichen sucht. So viel im Privat-TV darüber schwadroniert wird, oft weit von den Realitäten entfernt – das schauen sich die meisten wohl eher mit der gleichen Faszination an wie einen Krimi. Jeden Abend ein oder zwei Morde, aber natürlich begehst du deshalb nicht selber einen Mord oder findest einen Mörder einen normalen Menschen.
Seit Alexandra Adens Roman „Und nach der Vorlesung ins Bordell“ vor 5 Jahren erschien, ist es zwar immer wieder Thema, wie sich Studentinnen oder andere Frauen mit sexuellen Dienstleistungen selbstbestimmt Geld verdienen, ohne dabei unglücklich zu sein und ohne sich dabei als Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung vorzukommen. Vanessa Edens TV-Auftritte, in denen sie ganz offen über ihr Leben als Escort-Dame spricht und Ratschläge in Buchform gibt, wie eine Frau am besten in das Escort-Geschäft einsteigen kann, haben ein übriges getan: Ausbeutung und Menschenhandel gibt es in Zeitarbeitsfirmen, an Aldi-Kassen, in deutschen Schlachthöfen und auf deutschen Baustellen, und sicher auch in Bordellen. Aber Schlachthöfe, Baustellen oder Supermärkte werden deshalb auch nicht verboten, sondern Gewerkschaften und andere versuchen, die Rechte dieser Arbeitnehmer zu verbessern und durchzusetzen.
Aber wenn es um Prostitution geht, bestimmen Leute die Diskussion, die vorgeben, sich für die Sexarbeiterinnen einzusetzen, aber in Wirklichkeit geht es ihnen aus ideologischen oder moralistischen Gründen darum, die Prostitution zu verbieten oder in die Illegalität abzudrängen, also den Prostituierten das Leben so schwer wie möglich zu machen. Von Traditionsfeministinnen à la Alice Schwarzer über die Topless-Aktionsfeministinnen von Femen über Kirchen und Boulevardblätter wie der Spiegel – alle sind sie hier ein einem Boot. Sie geben vor, für die Rechte der Frauen einzutreten – und wollen doch nichts anderes als anderen Frauen Vorschriften machen. Keusch, monogam und heterosexuell (oder allenfalls noch lesbisch aber treu) sollst du sein – das beschließen diese Leute einfach und wollen es anderen vorschreiben. Demagogisch wird Prostitution in der öffentlichen Debatte mit Menschenhandel, Ausbeutung und Vergewaltigung assoziiert, um die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität zu verwischen und den Eindruck zu erwecken, Prostitution sei gar nicht unabhängig von Zwang und Gewalt denkbar. Sie wollen Ausbeutung in dieser Branche abschaffen, indem sie sie verbieten. Prostituierte werden stigmatisiert und vor allem daran gehindert, selber zu Wort zu kommen und ihre Interessen wahrzunehmen.
Und dafür haben sie allen Grund. Nur weil Prostitution legal und steuerpflichtig ist, heißt das noch lange nicht, dass für die dort Tätigen die gleichen Rechte gelten wie für andere. Wo anders hat die Polizei jederzeit ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss Zutritt – und nutzt den auch ausgiebig? Dennoch werden praktisch keine Frauen gefunden, die zum Sex gezwungen werden. Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung und Nötigung sind in Deutschlandverboten. Kein Krimineller geht diesen kriminellen Machenschaften an einem der Strafverfolgung so exponierten Ort wie einem Bordell nach – katholische Internate oder viele heimische Wohnzimmer sind sicherlich gefährlichere Orte für sexuellen Missbrauch als ein Bordell. Die Berufs-,Grund- und Menschenrechte von Sexarbeiterinnen werden in einer Weise eingeschränkt, die woanders unvorstellbar wäre. Nachzulesen bei courtisane.de, bei Dona Carmen oder auf Blogs wie dem ausgezeichneten Online-Magazin gegen Ausbeutung Menschenhandelheute.
Dass manche Frauen Prostitution machen, weil sie damit verglichen mit vielen anderen Jobs leichter und mehr Geld verdienen können, mag für viele kaum vorstellbar sein – dass aber manche auch noch Spaß daran haben, das ist dann endgültig zuviel. Eine Prostuierte sollte wenigstens innerlich teilnahmslos den Sex über sich vergehen lassen, aber doch nicht auch noch versuchen, Spaß daran zu haben! Sex zu trennen von emotionaler Bindung, für lustvollen Sex auch noch Geld zu nehmen – das ist die Schlampe in gesteigerter Form. Interessanterweise gibt es gar keinen männlichen Ausdruck für Schlampe – männliche Promiskuität ist weitaus akzeptierter als weibliche. Männer würden sich nicht in ihrem Freundeskreis isolieren, wenn sie viele wechselnde Sexualbeziehungen haben. Frauen dagegen leider in der Regel durchaus. Ob diese sexuelle Vielfalt unentgeltlich oder gewerblich praktiziert wird, ist dabei eigentlich zweitrangig.
Dass emotionale Bindungen zu Beziehungspartnern vielleicht sogar besser funktionieren wenn sie nicht mit sexueller Exklusivität gleichgesetzt werden – darüber darf die Frau auch im Jahr 2013 noch nicht einmal heimlich nachdenken, wenn sie soziale Ächtung vermeiden will. Und deshalb sind auch Alexandra Aden und Vanessa Eden natürlich Pseudonyme – ihr bürgerliches Leben wäre sonst ruiniert. Auch wenn ich mich frage, wie Vanessa Eden noch eine zweite unerkannte Identität haben kann, wenn ihr Gesicht offen im Fernsehen zu bewundern war.
Für Frauen gibt es auch heute noch viele Fesseln zu sprengen, die die gesellschaftlichen Normvorstellungen von Sexualität uns anlegen. Die größten Hindernisse sind wir selbst, mit den sozialen Kontrollmechanismen die wir vor allem anderen Frauen gegenüber praktizieren, statt uns an unserer natürlichen Vielfalt zu erfreuen.
„Hey Liebste ich habe ja gehört du wärst eine ganz furchtbare Schlampe….“
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Unsere Gesellschaft ist ziemlich scheinliberal – besonders was die Sexualmoral angeht. In sofern erst mal Zustimmmung.
Dass Männer „heute eigentlich alles“ dürfen, dass es „in Sachen Sex weniges“ gibt, „was bei Männern zu sozialer Ächtung führt“, dass „männliche Promiskuität weitaus akzeptierter“ ist als weibliche, trifft nach meiner Wahrnehmung überhaupt nicht zu. Gerade der Feminismus in seiner beherrschenden Form (Schwarzer und Co.) sorgt deutlich dafür.
Gerade Männer sind in dieser Hinsicht massiv unter Beschuss. Du darfst Dich als Mann doch heutzutage noch nicht mal am Kopf kratzen – schon wird behauptet, das sei bestimmt was Sexuelles. Leicht zur Seite blinzeln, wenn es was zu blinzeln gibt – und schon „degradierst du Frauen zum Sexualobjekt“ – und das sagen nicht nur Frauen, sondern auch die eigenen Geschlechtsgenossen.
Wage mal im Schwimmbad Dich dieser Schlabber-Boxershort-Zwangsmode zu verweigern (für mich eine Bademode, die mit der Anfang des letzten Jahrhunderts vergleichbar ist) und das zu tragen, was man vor wenigen Jahren noch normale Sportbadehose genannt hätte, dann muss mann sich anhören, das sei eine „Playboybadehose“. Andere weibliche Wesen (!) meinen dann lautstark die Größe des Inhalts taxieren zu dürfen (natürlich als viel zu klein) – schließlich darf man solche Sexmonster, die solchen Badehosen tragen, jederzeit mit entsprechender Herablassung behandeln.
Vergleiche diesen Zwang mal mit dem, was die Frauen an Stränden und in Badeanstalten so tragen. (Diese Stringgeschichten dürften selbstverständlich sowieso nur Frauen tragen.)
Wage es als Mann mal auch nur, bei hochsommerlichen 30 Grad mit bloßem Oberkörper (normale Statur) Fahrrad zu fahren. (Da macht es auch überhaupt nichts, dass die Damen, die da mäkeln, prozentual meist eher weniger anhaben und dann auch viel „auffälligeres“.)
Auch der Druck auf Männer, gefälligst auf jeden Fall monogam zu leben, ist nicht ganz klein.
Wenn es um Homosexualität geht, sehe ich in meiner Kleinstadt andauernd lesbische Paare Arm in Arm flanieren. Kein einziges männliches homosexuelles Paar würde es wagen…
Eine relativ freizügig lebende Frau (wenn sie das denn will) gilt nach meiner Wahrnehmung oft als besonders „emanizipiert“, ein Mann ganz schnell als blöder geiler Bock, Playboy, beziehungsunfähig oder ähnliches.
Wenn an Frau etwas kritikelt wird, sind es meist nur die eigenen Geschlechtsgenossinnen, die das tun – das beschreibst Du richtig.
Gut- Prostitution ist noch mal ein Sonderfall. Aber auch männliche Prostituierte hätten es nicht wesentlich besser, wenn es die denn im relevanten Maße gäbe. Interessant dabei auch der Ansatz, dass man zur Verfolgung der Prostitution Freier bestrafen will, die Frauen als Opfer straflos belassen will (z.B. in Schweden, auch anderswo geplant)
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